"Ich will ....., entschuldige, ich möchte keine Krawatte!"
"Aber die Rote mit den blauen Punkten und Ringen, ist die nicht schön?"
"Doch Liebling, sicher, sie ist schön, die Rote mit den blauen
Punkten und Kringeln. Ich möchte aber keine Krawatte, auch dann nicht,
wenn sie blaue Punkte und Kringeln hat. - Ich möchte eine Platte,
eine Platte die sich dreht und die Musik macht!"
Für einen Augenblick hörte man nur ein kleines Seufzerchen,
welches aus schmollenden, weichgeschwungenen Lippen die Straße auszufüllen
schien. Ich glaubte die Augen der ganzen Welt strafend auf mich gerichtet
zu sehen, und es schien, als ob der sonst auf Choräle einstudierte
Engelchor, unterstützt von allen Posaunen, "wie kann man einer
so schönen Frau widersprechen" sang - und das vier- oder fünfstimmig.
"Verdammt noch mal, ich will keine Krawatte!"
"Ist ja schon gut, werd' doch nicht immer gleich böse!"
Zum aus der Haut fahren! Ich hatte es wieder. Ich hatte wieder ein schlechtes
Gewissen. Sie brachte es immer so weit. Wenn sie wenigstens schreien würde!
Aber nein: werd' doch nicht immer gleich böse - ist ja schon gut!!
"Also, bekomme ich eine Platte?"
Mit sanfter Gewalt versuchte ich meine mir rechtlich angetraute Gattin
von diesem Krawattenfenster wegzuziehen; aber eine unheimliche Kraft schien
sie mit den Schlipsen zu verbinden. Auf jeden Fall widerstand sie standhaft
all meinen diesbezüglichen Versuchen.
"Liebling, wenn ich Dir nun eine Platte und diese Krawatte schenke?"
"Die mit den roten Ringen und Punkten?"
"Nein, Liebling. Die mit den blauen Ringen und Punkten!"
Es war wirklich zum Verzweifeln. Ich versuchte es mit Logik - viel hatte
ich im Leben noch nicht gelernt.
"Liebling ...."
Meiner Stimme gab ich einen warmen, liebenswerten Ton.
"Liebling schau ....."
Ich merkte nicht einmal, daß ich schon ihre Diktion angenommen hatte,
und damit - wie ihr überlegenes Lächeln mir (wenn ich aufmerksam
gewesen wäre) andeutete - auf dem Weg zur Varusschlacht war, das
heißt, daß ich von vornherein mit dem Stempel des Verlierers
gezeichnet war.
"Liebling schau ..."
"Ja?!"
Was sollte dieses ja? Ich komme aus dem Konzept, wenn man mich unterbricht.
Das war schon in der Schule so. Und sie weiß es. Ich habe es ihr
immer und immer wieder gesagt. Ich laß mich scheiden!
"Was ja?"
"Ich hör' Dir zu!"
"Ach so, äh .... "
Sie hatte es geschafft! Ich war aus dem Konzept. Nur jetzt keinen Streit
auf der Straße. Warum hatte ich keine heute abend keine Krawatte
um. Ich hätte sie mir richten können und damit wertvolle Sekunden
gewonnen. Vielleicht hätte ich mit dem Richten sogar eine gewisse
Natürlichkeit vortäuschen können, wie ich das oft im Theater
gesehen hatte. Ich wäre in diesem Moment sogar bereit gewesen, die
Krawatte mit den blauen Punkten und Ringen zu richten.
"Liebling schau ......"
Ich nahm, wie man bemerkt, einen neuen Anlauf, holte kurz Luft und hätte
auch gewußt, was ich weiter sagen wollte, als sich die schmollenden,
weichgeschwungenen Lippen wieder öffneten, um im süßesten
Frageton "Ja, Liebling?" zu säuseln.
Das war zuviel!
Mit leicht zusammengedrückten Zähnen - die Backenmuskulatur
arbeitete, durch die Nase holte ich tief Luft, obwohl mir zu dieser Zeit
ein kleiner Schnupfen das Atemholen durch die Nase erschwerte (aber was
sollte ich machen: wenn ich den Mund geöffnet hätte, hätten
meine Backenknochen nicht mehr gearbeitet und meine durch die arbeitenden
Backenknochen unterstützte Wut wäre vielleicht verflogen) -
rang ich um Haltung. Und ein Gedanke, ein einziger Gedanke ging mir durch
den Kopf: ich laß mich scheiden! Ich laß mich wirklich scheiden.
So geht das schon seit vier Jahren. Immer hat sie das letzte Wort. Ich
bin einfach zu gütig für eine Frau. Besonders für meine
Frau. Meine Gutmütigkeit steht mir im Weg. Das nützt sie aus.
Morgen bin ich bei meinem Anwalt. Jetzt laß ich mich wirklich scheiden.
Seelische Grausamkeit. Oder was immer.
Während dieses geistigen Höhenfluges hatte ich mit einem leichten
Pfeifen (da ich wie gesagt ein wenig verschnupft war und durch die Nase
atmete) meine beiden Lungenflügel gefüllt und ein wenig zu heftig
formuliertes
"Verdammt noch mal, dan kauf mir eben die Scheißkrawatte mit
den blauen Ringen und Punkten; aber ich schwöre Dir, ich werde sie
nie tragen" von mir gegeben.
Ich sehe noch das ältere Ehepaar, welches sich nach mir umdrehte.
Vielleicht hatte ich mit meinem Ausbruch zwei Menschen wieder zusammengebracht.
Bei uns schien dies nicht der Fall zu sein. Wir sind dann, ohne daß
sich die schmollenden, weichgeschwungenen Lippen noch ein weiteres Mal
geöffnet hätten, nach Hause gegangen. Meine Frau schlief im
Wohnzimmer. Also ehrlich: ich verstand das nicht. Alles wegen so einer
blöden blauen Krawatte mit Ringen und Punkten.
Zwei Tage später war sie - meine Frau - mit allen Koffern und all
ihrem Schmuck bei ihrer Mutter. Von ihrem Rechtsanwalt - dem meiner Frau
- kam die Nachricht, daß sie sich scheiden lassen wolle ..... ich
verstand die Welt nicht mehr.
Zwei Tage nach Eintreffen des Briefes vom Rechtsanwalt, feierte ich ganz
alleine, in der für einen Menschen viel zu großen Wohnung,
meinen Geburtstag mit einer Flasche Whisky. Um 9.48 Uhr klingelte es an
der Haustür und der Postbote brachte mir ein Expresspäckchen.
Absender: meine Frau!
Mein Geburtstagsgeschenk!
Mit leicht zitternden Händen versuchte ich das Päckchen zu öffnen.
Natürlich, wie könnte es anders sein, gelang das nicht. Ich
holte ein Messer, ich schnitt mich, das Jod brannte, ich fluchte; aber
schlußendlich lag das Geschenk enthüllt auf dem Tisch: ein
Mensch-Ärgere-Dich-Nicht-Spiel.
Nun saß ich da und spielte mit mir selber Mensch ärgere Dich
nicht!
Oh, Mathilde! Wie gerne würde ich die rote Krawatte mit den blauen
Punkten und Ringen tragen. Ich würde sie nie mehr von meinem Halse
nehmen. Auch nicht beim Waschen. Ich würde mit ihr schlafen und auf
der Toilette sitzen. Wenn Du nur bei mir wärst.
Aber ich saß da und spielte Mensch ärgere Dich nicht. Mit mir
selber. Dabei verliere ich immer gegen mich. Im Übrigen hasse ich
es, Mensch ärgere Dich nicht zu spielen.
Damit wäre die Geschichte eigentlich zu ende. Was jedoch der Literatur
recht ist, darf für mich billig sein. Also lasse ich auch für
mich einen reitenden Boten auftreten. Und zwar:
Einen Tag später klingelte es an meiner Haustür und ein Schulfreund,
der mit seiner Handelsfirma Konkurs anmelden mußte, stand vor mir
und verkaufte Krawatten. Natürlich stach sie mir sofort in die Augen,
die rote Krawatte mit den blauen Punkten und Ringen. Und natürlich
kaufte ich sie. Wir tranken noch einige Whiskies - ohne Mensch ärgere
Dich nicht zu spielen. Ich erzählte ihm von meinem Unglück.
Er verglich es mit seinem Konkurs. Auf jeden Fall konnten wir beide über
das sprechen, was uns so sehr bedrückte, und wir bemitleideten uns
- psychologisch sehr wertvoll! Da er noch Geld verdienen mußte verließ
er mich nachdem die Flasche leer war und ich legte mich ziemlich betrunken
erst mal schlafen.
Durch heftiges Klingeln wurde ich unsanft aus meinem Schlummer gerissen.
Mein Kopf dröhnte. Ich öffnete die Türe, nachdem ich zuerst
einmal meinen Namen ins Telefon gebrüllt hatte und stand meinem Krawattenfreund
gegenüber. Neben ihm, in ihrer ganzen Schönheit, meine fast
schon Ex-Frau. Ich war noch zu verschlafen um groß auf Haltung zu
machen, was sicherlich sehr gut war. - Oh ich habe vergessen zu erwähnen,
daß ich mich in Kleidern hingelegt hatte und die erworbene Krawatte
leuchtend um meinen Hals hing.
"Paß auf, altes Haus! Ich habe zufällig Deine Frau getroffen,
ihr Deine Lage erzählt und sie überredet mitzukommen."
Ich schaute meinen Freund an, und wußte nicht, ob ich wütend
werden sollte. Dann schaute ich zu meiner Noch-Immer-Frau und wußte
nicht, ob ich mich freuen sollte. Und schlußendlich merkte ich,
daß ich noch zu verschlafen war um meinen Stolz spielen zu lassen.
Kurz: ich bat sie beide herein.
Mein Freund wollte jedoch nicht stören und verschwand.
Heute, es sind unterdessen zwei Jahre vergangen, sitze ich mit meiner
Frau am Tisch und spiele Mensch ärgere Dich nicht und trage natürlich
die rote Krawatte mit den blauen Punkten und Ringen. Wir lächeln
uns glücklich an und aus ihren leicht schmollenden, weichgeschwungenen
Lippen höre ich: "Weißt Du, die Krawatte ist wirklich
schön!"
Ein Sprichwort fällt mir ein:
Der Hecht ist blau - recht hat die Frau.
Grau ist der Hecht - die Frau hat recht.
Und glücklich sage ich: "Ja, Liebling! Die Krawatte ist wirklich
schön!"
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